44. Adolf-Grimme-Preis Wettbewerb Information & Kultur

an Beatrix Schwehm (Buch/Regie) für Luise – eine deutsche Muslima (NDR/WDR/ARTE) Produktion: trifilm

Begründung der Jury

Jahrelang hat Rita für Frauenrechte gekämpft, damit wenigstens Luise nicht mehr wegen ihres Geschlechts diskriminiert wird. Jetzt muss sie zusehen, wie die Tochter nicht nur zum Islam konvertiert, sondern ihr Heil ausgerechnet in der Ganzkörperverschleierung sucht.

Der Film „Luise – eine deutsche Muslima“ erzählt von einer deutschen Patchwork-Familie und ihren typischen Nöten; aber es könnte sein, dass man es nicht gleich bemerkt. In den Gesprächen von Mutter Rita, Tochter Luise, Stiefvater Mateng und Schwiegersohn Mohamed geht es um die Ablösung zwischen Eltern und Kindern, um Großfamilie, persönliche Identitätsfindung, um die Möglichkeit der Gesprächsbereitschaft, um Gesprächsabbrüche und um Rückzugsgefechte.

Wie typisch sind die Nöte dieser vier Menschen in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Lage? Zu brisant scheint die Kopftuch-Kontroverse, zu eindeutig sind die Stellungen rund um das Thema „Multikulti“ und „Wischiwaschi“-Toleranz besetzt, als dass die Familie und mit ihr der Zuschauer Luises Entscheidung, den Schleier zu tragen, unhinterfragt hinnehmen könnte. Zumal Beatrix Schwehm ihren Film beginnen lässt, als Luises Entscheidung längst gefallen ist. Es geht um die Folgen ihres Entschlusses, um die Frage, wie die anderen mit ihm leben können. Oder auch nicht.

Die Dokumentation besticht als klug gemachter Film der Argumente. Seine Kunst besteht darin, auf diskursive Weise ein geschlossenes Weltbild – oder gleich mehrere – darzustellen. Der bemerkenswerten Offenheit seiner Protagonisten entspricht dabei die Offenheit, mit der er sich den debattierten Positionen annähert, ohne über ihre Abgründe allzu harmonieselig hinwegzutäuschen.

Der Film ist weder ein Plädoyer für das Kopftuch noch eines dagegen. Stattdessen fordert er unser Differenzierungsvermögen heraus. Er findet dabei Bilder von großer Ausdrucksstärke, etwa wenn Luise – mit bauschigem Stoff bedeckt vom Scheitel bis zur Sohle – am Meeressaum steht und in die Weite blickt, während Männer und Mutter schwimmen gehen. Indem er sich den jeweils ganz individuellen Schmerzgrenzen seines Quartetts nähert, macht er es uns möglich, unsere eigenen Schmerzgrenzen zu ziehen und vielleicht auch ein Stück weit hinauszuschieben. Nicht umsonst schließlich verdient Stiefvater Mateng seine Brötchen mit absurdem Theater.

www.grimme-institut.de

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