Stimmen zum Film: Jens Fischer, freier Journalist

Jens Fischer, freier Journalist

Es ist Freiheit. Es ist Nacht in Bremen. Regen, natürlich. Eine eingemummelte Gestalt schleicht sich konspirativ aus einer Kellertür. Bremer Freiheitshelden wie Untergrundkämpfer in den Uniformen verstaubter Gutbürgerlichkeit. Ziel ist ein Treffen im Ratskeller. Dort sitzen die langmähnigen Macher mit ihrer Kotelettenpracht beim Wein, ernst und kämpferischen Willens, die schwindenden Umsatzzahlen der Bremer Betriebe wieder auf neue Rekordhöhen zu hieven – und somit etwas gegen das Ausbleiben der Schiffe, also gegen das Versanden der Weser ist zu tun.
Die Bremer Freiheit muss bewahrt werden, die immer meint, ein Gemeinwesen so zu organisieren, dass die unternehmerische Freiheit optimale Rahmenbedingungen vorfindet. Deswegen ist die Geschichte der Bremer Freiheit keine friedliche. Nur wenn andere Interessen auf der Strecke bleiben, kann die Bremer Wirtschaftsfreiheit triumphieren. Etwa im Kampf gegen den Nachbarn aus der Metropolregion, den Herzog von Oldenburg. In seinem Reich wurden im 19. Jahrhundert zunehmend mehr Weserschiffe be- und entladen, was Bremen zur Kriegslist animierte, Bremerhaven zu gründen.
Bremer Freiheit ist, ganz klar, ein Wirtschaftskrimi. Und so beginnt die Dokumentation „Bremer Freiheit“ wie ein Krimi, mit dem die Radio Bremen-Autorinnen Susanne Brahms und Michaela Herold die Geschichte Bremens im 19. und 20. Jahrhundert in zweimal 45 Minuten erzählen: vom Ringen um die Unabhängigkeit im zerstrittenen Europa nach dem Wiener Kongress bis zum Kampf um die Selbstständigkeit im vereinten Europa 2005. Ein Krimi mit Ereignisüberschuss, der sich nicht für die Leichen am Wegesrand, sondern für Anführer auf den Heerstraßen der Freiheit interessiert.
Inszeniert werden historisierende Geschichten „zu den tollen Kaufmanns und Bürgermeisterhechten“ wie die „taz“ anmerkte anlässlich der TV-Ausstrahlung am 12. und 19. September auf dem nächtlichen Sendeplatz „Das Geschichtsthema“ im Dritten Programm von Radio Bremen und NDR. „Dort, wo sie (die Autorinnen) einer Episode mehr Platz und Tiefe gönnen wird der Doku-Zweiteiler sogar richtig erhellend: Zum Beispiel, wenn sie die Reihe großer Bremer Pleiten mit dem schuldhaften Konkurs der Nordwolle beginnen. Oder, wo sie das bis heute gepflegte Selbstbild der Hansestadt als eines Horts des NS-Widerstands sehr unaufgeregt demontieren.“ Und “Die Welt“ lobte: „Statt staubtrockener Geschichtsabwicklung und strenger Chronologie provozieren die Autorinnen mit der Frage, warum Bremen überhaupt unabhängig ist?“ Ist die Selbstständigkeit des Bundeslandes noch zeitgemäß? „Die Stadtstaaten mit ihrer Tradition der Selbstverwaltung, mit ihren genossenschaftlichen Prinzipien, ihrem Bürgersinn, sind noch immer ,Modelle deutscher Möglichkeiten’, wie Theodor Heuss einmal sagte. Wichtig ist, dass die Länder noch besser kooperieren und die Stadt-Umland-Probleme beherzter anpacken“, meint der professorale Talking Head des des Films, Franklin Kopitzsch.
Als Kontrapunkt erinnern die Autorinnen mit ihrem Filmtitel an Rainer Werner Fassbinders „bürgerliches Trauerspiel“ um die Giftmörderin Geesche Gottfried: „Bremer Freiheit“ (1971). „Geesche will selbstbestimmt leben und räumt radikal alles aus dem Weg, um ihren Freiheitswillen gegen den Zeitgeist durchzusetzen. Aus dem Mord als Akt der Verzweiflung wird im Laufe des Stückes mehr und mehr ein zügelloser Wahn, eine grausame Routine des Tötens, die erst nach vielen Jahren des gesellschaftlichen Wegsehens durchbrochen werden kann.“ So kündigt das Niederdeutsche Schauspiel am Oldenburgischen Staastheater die Premiere des Stücks am 16. Dezember 2006 an. Und lässt damit genauso wie der Film die Frage offen: Produziert die Bremer Freiheit diese Gesche Gottfrieds, oder hat die Bremer Freiheit selbst so einen Stich ins terroristisch Wehrhafte? Am Ende der Weges steht in beiden Fällen nicht die Unabhängigkeit, sondern die Einsamkeit.

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